Nicht geschimpft ist Lob genug

Wann haben Sie das letzte Mal jemanden gelobt? So aus ganzem Herzen heraus? Heute? Gestern? Letzte Woche? Loben Sie gerne, oder fällt es Ihnen eher schwer? Loben Sie sporadisch, gezielt oder spontan? Was hat sich bei der Person verändert, die Sie gelobt haben – das fragt Anja Kuhn unsere Leser in Ihrer Kolumne.

Ich habe einmal in einem Kommunikationstraining die Teilnehmenden in Zweiergruppen eingeteilt und sie unter anderem gebeten, sich gegenseitig zu sagen, was sie an dem anderen schätzen und gut finden. Persönlich und im Rahmen der Zusammenarbeit.

Was nach einer einfachen Aufgabe klingt, ist in Wahrheit eine kleine Herausforderung. Und zwar für beide – für den, der das Positive formulieren und aussprechen soll, genauso wie für den, der es annehmen soll. Erstaunlicherweise können viele Menschen gar nicht gut damit umgehen, wenn sie ein Lob oder Komplimente erhalten. Ich glaube, das liegt daran, dass wir so damit beschäftigt sind, Probleme, Herausforderungen und Aufgaben zu bewältigen, dass für das Positive und Gute kaum Raum bleibt.

Genauso stelle ich in meinem Podcast gerne die Frage: Feierst du deine Erfolge? Selten erhalte ich die Antwort: Oh ja, ich mache dieses oder jenes, um das Geschaffte zu würdigen. Die meisten freuen sich kurz über einen Erfolg und gehen dann zum Tagesgeschäft über. Schließlich liegt noch so viel an und die Aufgabenliste wird schnell wieder länger anstatt kürzer. Bei einigen ist es auch das Gefühl, dass sie dem Erfolg nicht trauen und eher denken, sie müssten sich mal kneifen, statt sich auf die Schulter zu klopfen.

Dabei ist es so wichtig, Erfolge zu feiern und sich gegenseitig etwas Positives zu sagen. Damit beschäftigen sich auch die unterschiedlichsten Wissenschaftler. Sie versuchen herauszufinden, wie sich Lob und Komplimente auf Menschen auswirken.

In ihren Studien haben sie zum Beispiel herausgefunden, dass sich Lob nicht nur auf die gelobte Person positiv auswirkt. Es wirkt sich auch auf die nicht gelobten Personen aus und führt dazu, dass sich ihre Ergebnisse verbessern. Spannend, oder? Dabei finde ich es wichtig, dass das Lob echt ist und von Herzen kommt und nicht strategisch eingesetzt wird, um andere anzuspornen. Genauso wenig, wie plötzlich inflationär eingesetztes Lob glaubwürdig ist.

Komplimente wirken sogar noch stärker. Wenn wir ein Kompliment erhalten, empfinden wir Freude und Glück und das Hormon Oxytocin wird ausgeschüttet. Das sorgt dann dafür, dass wir uns mit der Person, die uns ein Kompliment macht, verbinden.

Ich finde, wir brauchen einfach mehr Lob und mehr Komplimente in unserer Kommunikation. Ernst gemeint versteht sich. Wie schön ist es doch, wenn wir zu jemandem sagen: „Du bereicherst unser Team mit deiner Herzlichkeit“ oder „Deine Meinung ist mir wichtig“. Das macht nicht nur etwas mit demjenigen, dem wir das sagen. Es macht auch etwas mit uns. Geben ist seliger denn nehmen, heißt es. Wenn wir erwartungsfrei ein Kompliment geben oder ein Lob aussprechen wie „Das Problem hast du in kurzer Zeit optimal gelöst“ oder „Das war exzellentes Projektmanagement“, dann sorgt das dafür, dass wir selbst uns auch gut fühlen.

Ich habe neulich im Supermarkt eine wildfremde Frau angesprochen, die einen knallgrünen Hosenanzug trug, der ihr ausgezeichnet stand. Ich ging auf sie zu und sagte ihr genau das. Sie schaute mich einen Moment lang irritiert an, lächelte dann und freute sich über mein Kompliment. Wir sind uns nie wieder begegnet, hatten aber einen spontanen, schönen Moment miteinander.

Das ist so, als ob wir ein Geschenk erhalten, das zudem nichts kostet. Die beschenkte Person freut sich über das, was sie erhält, und der Schenkende freut sich über das, was er gibt. Das ist eine Win-win-Situation. Wunderbar, oder? Hinzu kommt, dass das Geschenk gleichzeitig ein Ausdruck von Wertschätzung ist. Wenn wir uns gesehen und geschätzt fühlen, fällt uns das Miteinander und das Arbeiten gleich sehr viel leichter. Und manchmal kann einem ein spontanes Kompliment oder Lob einen vermeintlich miesen Tag retten.

Uns selbst dürfen wir dabei auch nicht vergessen. Wenn wir anderen etwas Positives sagen, müssen wir das auch für uns tun. In dem Wort Selbstwertgefühl steckt der Selbstwert mit drin. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wieviel Sie sich selbst wert sind und was Sie über sich sagen? Unser innerer Kritiker ist nämlich meist viel stärker als unserer innerer Komplimentemacher. Viel öfter sagen wir doch zu uns selbst: „Das war aber nicht so gut heute“, oder „das kannst du aber besser“, anstatt zu sagen: „Das hast du supergemacht“ oder „heute siehst du richtig gut aus“.

Nicht ohne Grund lehren viele Coaches ihre Mentees, eine Art Glückstagebuch zu führen oder sich abends mindestens drei Dinge aufzuschreiben, die am auslaufenden Tag gut oder sogar sehr gut waren. Dann rücken die Dinge, die nicht rund gelaufen sind, in den Hintergrund und wir schlafen mit positiven Gedanken ein.

Mir gefällt der Gedanke, sich am Ende einer Woche damit zu beschäftigen, wem ich etwas Gutes getan oder gesagt habe. Wie vielen Menschen habe ich in dieser Woche ein Kompliment gemacht oder sie für eine gute Leistung oder Verhalten gelobt? Wem habe ich ein Geschenk mit Worten gemacht, die mich nichts kosten und dem anderen den Tag versüßen? Dabei geht es nicht darum, am Ende der Woche einen Summenstrich zu ziehen und festzustellen: Genug gelobt, soll erfüllt. Es geht einfach darum, zu schauen, ob ich zwischen Teamsitzung, Kundenterminen, To-do-Listen und all den anderen täglichen Herausforderungen Freude und Wertschätzung gegeben und selbst erhalten haben.
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