New Work jenseits des Homeoffice: Ein Paradigmenwechsel in der Unternehmenskultur

Der Psychologe Markus Väth ist einer der renommiertesten New-Work-Experten der Welt. Im PBS Report-Interview erklärt er, warum die Idee hinter dem Konzept oft missverstanden wird, sich gerade etablierte Unternehmen mit der Umsetzung häufig schwertun und wie der Wandel doch gelingen kann. Er entwirft ein Bild, das weit über flexible Arbeitszeiten und Homeoffice hinausgeht. Stattdessen präsentiert er es als eine ganzheitliche Philosophie, die darauf abzielt, Arbeit neu zu denken – menschlicher, flexibler und sinnstiftender.

Herr Väth, Sie betonen, dass „New Work“ mehr als nur Homeoffice und neue Büromöbel umfasst. Könnten Sie uns ein konkretes Beispiel geben, wie ein Unternehmen diese Prinzipien erfolgreich in seine Kultur integriert hat, und was andere daraus lernen können?
Väth: Ein interessantes Beispiel ist die norddeutsche Hotel- und Apartmentkette Upstalsboom. Der Geschäftsführer Bodo Janssen führte vor Jahren eine Umfrage durch, bei der eine massive Unzufriedenheit der Belegschaft mit der Führung und generell schlechte Stimmung zum Vorschein kamen. Und anders als viele andere Unternehmen reagierte Upstalsboom darauf, und zwar massiv. Bodo Janssen änderte die Unternehmensführung komplett.

Er krempelte das Unternehmen von oben herab um, stellte ein umfangreiches Programm zur Führungskräfteentwicklung auf die Beine und verpflichtete alle Führungskräfte als erstes auf eine New-Work-Philosophie, die sich auf persönliches Commitment, Beteiligung, Potenzialentfaltung und menschliches Miteinander konzentrierte. Alle Mitarbeiter konnten sich beispielsweise auf Wunsch in mehreren Arbeitsbereichen ausprobieren. Es gibt mehr Mitsprache als anderswo und weniger Hierarchien. Mittlerweile wirkt Upstalsboom auch nach außen und unterstützt beispielsweise mehrere soziale Projekte. Auch ökonomisch lohnte sich das Experiment: Die Empfehlungsrate liegt bei 98 Prozent, die Krankheitsquote sank von 8 auf 3 Prozent und das Ergebnis verdoppelte sich in zehn Jahren. Upstalsboom zeigt, wie ein Touristikunternehmen erfolgreich zu einem New-Work-Unternehmen transformiert werden kann – wenn das Top-Management dies tatkräftig anleitet und umsetzt.

Sie haben einmal die „Drei D“ – Digitalisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung – als Treiber von New Work genannt. Wie sehen Sie die Rolle dieser Faktoren in der aktuellen globalen Arbeitslandschaft, und welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich daraus für Unternehmen weltweit?
Väth: Zum Thema Digitalisierung ist bereits viel gesagt worden, leider umsonst. In Deutschland gewinnen wir damit keinen Blumentopf. Da wird uns auch der Hype um Künstliche Intelligenz nicht retten. Bis wir hier zu einer echten Produktivität, gerade im Bereich der breiten Anwendung, kommen, wird noch einige Zeit vergehen.
Demokratisierung in Unternehmen erlebt momentan eher einen Gegentrend, indem Unternehmen zur Command-and-Control-Struktur zurückkehren – was ich für einen Fehler halte. Denn wo Menschen mitsprechen und -entscheiden, übernehmen sie leichter Verantwortung. Genau diese Verantwortungsübernahme, diese „Ownership“ haben Unternehmen allerdings bitter nötig. Wir sollten daher Initiativen zur Beteiligung der Mitarbeiter nicht einstellen, sondern verstärken.

Das gilt auch für die Dezentralisierung. Sie ist technisch notwendig, um Ausfälle zu vermeiden, das haben uns der Ukraine-Krieg und das Klumpenrisiko der russischen Gasimporte gezeigt. Aber auch menschlich macht Dezentralisierung Sinn. Entscheidungen sollten vor Ort getroffen werden. Unternehmen tun sich keinen Gefallen, wenn sie in Krisensituationen die Dezentralisierung zurückdrehen wollen.

Ein vierter wichtiger Faktor ist übrigens die Demografie, die wir jetzt schon spüren und die in den nächsten Jahren eine massive Arbeitskräftekrise verursachen wird. Bis 2030 werden uns in Deutschland vier Millionen Arbeitskräfte fehlen. Dies kann auch durch KI und Digitalisierung nicht kompensiert werden und stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar.

New Work bietet nun Ideen und Methoden, um beispielsweise Demokratisierung und Dezentralisierung sinnvoll miteinander zu verbinden – in neuen Organisationsmodellen, in Modellen zur Zusammenarbeit und wirkungsvollen Meeting- und Workshop-Formaten. Außerdem stellt echtes New Work einen mächtigen Faktor für das Employer Branding und Recruiting dar – es darf nur kein Etikettenschwindel sein, denn das durchschauen die Leute schnell.

Markus Väth, Experte für menschenzentrierte Unternehmensführung: „Digitalisierung, Demokratisierung Dezentralisierung und Demografie sind zentrale Treiber für New Work.“
Markus Väth, Experte für menschenzentrierte Unternehmensführung: „Digitalisierung, Demokratisierung Dezentralisierung und Demografie sind zentrale Treiber für New Work.“

Angesichts Ihrer Erkenntnisse, dass das Sinnmotiv bei jungen Menschen möglicherweise überschätzt wird, wie sollten Unternehmen Ihrer Meinung nach eine Balance zwischen materiellen Anreizen und dem Bedürfnis nach sinnvoller Arbeit schaffen, um talentierte Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten?
Väth: Im Grunde suchen die Menschen immer nach den gleichen Dingen in ihrer Arbeit:

  1. Ein faires und angemessenes Gehalt. Das ist natürlich Verhandlungssache zwischen dem Menschen und dem Unternehmen. Aber auch die Gesellschaft als Ganzes spielt eine Rolle dabei, wie eine Tätigkeit ökonomisch bewertet wird.
  2. Ein produktives und angenehmes soziales Umfeld. Dazu gehört das Arbeiten in der Gruppe, die Fähigkeit, Konflikte zu lösen und eine konstruktive Führungsarbeit.
  3. #Möglichst große Autonomie bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort. Da sind natürlich Kompromisse gefragt: Wie muss der Mensch zeitlich und örtlich zur Verfügung stehen, damit die Aufgabe erfüllt werden kann?
  4. Eine sinnvolle Tätigkeit: Unterstützt das, was ich tue, meine Werte und Einstellung? Trage ich zu einem großen Ganzen bei? Und schließlich
  5. Wirksamkeit: Mache ich mit meiner Arbeit einen Unterschied oder arbeite ich „für die Tonne“? Sinn und Wirksamkeit gehören zusammen, das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Eine kluge Personalarbeit kennt diese fünf Motive und steuert sie gegeneinander aus. Junge Menschen sind sich dieser Motive möglicherweise stärker bewusst als frühere Generationen. Das Mindeste wäre, diese Motive ernst zu nehmen und sich auf diesbezügliche Verhandlungen einzulassen, ohne gleich zu denken: „Was will der denn? Das hier ist doch kein Wunschkonzert!“

New Work setzt sich für eine Humanisierung der Arbeitswelt ein. Welche konkreten Schritte können Unternehmen gehen, um diesen Ansatz auch außerhalb der „Office-Blase“ umzusetzen, beispielsweise in Fabriken oder bei physischer Arbeit?
Väth: Unternehmen lassen sich bei New Work leider ablenken von Buzzwords oder einzelnen Instrumenten. Wenn dann Homeoffice als „New Work“ angepriesen wird, kann man in der Produktion leicht sagen: Leider Pech gehabt, ist bei uns nicht möglich. Da hilft ein Blick auf die übergeordneten Ziele von New Work: Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und Soziale Verantwortung.

Alles, was auf diese Ziele einzahlt, kann New Work sein. Das kann bei einer Erweiterung der Aufgaben hin zu mehr Verantwortung (und damit mehr eigener Kontrolle) anfangen. Oder bei einer Renovierung der Pausenräume für die Mitarbeiter am Band. Es kann auch eine Schulung für die Meister sein mit dem Thema: Wie komme ich eigentlich rüber? Bin ich immer noch ausgeprägt hierarchisch unterwegs oder lasse ich Diskussionen bzw. Verbesserungen von unten zu?

Das ist das Faszinierende an New Work: Man muss nicht komplizierten oder gehypten Methoden folgen. Man kann kleine Schritte tun, um das große Ziel zu erreichen. Jeder kann New Work umsetzen.

In Ihrem Konzept des New Leadership sprechen Sie von einer Evolution der Führungsrolle. Könnten Sie eine Führungspersönlichkeit nennen, die dieses neue Führungsverständnis Ihrer Meinung nach vorbildlich verkörpert, und was macht sie so effektiv?
Väth: Ich halte Jürgen Klopp für eine sehr gute Führungskraft – wobei Ferndiagnosen immer problematisch sind. An Herrn Klopp zeigt sich, dass sich Erfolg und eine – begrenzt – authentische Art der Kommunikation nicht ausschließen müssen. Zudem ist Spitzenfußball eine Domäne, in der Erfolg oder Misserfolg unmittelbar sichtbar wird. Aber ich muss auch sagen, dass gelungene Führung immer auch ein Erfolg des Teams ist. Führungskräfte sind nie an sich erfolgreich, sondern sie müssen zu ihrem Umfeld passen – und das Umfeld eben auch zu ihnen. Daher würde ich auch nie sagen: Dieser Mensch ist als Führungskraft per se erfolgreich. Wo eine Führungskraft in einem Umfeld sehr gut performen kann, scheitert sie vielleicht in einem anderen Umfeld – obwohl sie selbst ja die gleiche Person ist.

Generell halte ich viel davon, dass Führungskräfte zwei Dinge kombinieren: Vertrauen und Verantwortung. Einerseits den Menschen vertrauen, sie andererseits aber auch in Verantwortung nehmen für die Resultate. Das kombiniert mit einer respektvoll-ehrlichen Gesprächsführung scheint mir eine gute Grundlage für gemeinsamen Erfolg.

„Radikal Arbeiten“ stellt eine neue Arbeitsphilosophie dar. Könnten Sie ein Beispiel dafür geben, wie diese Philosophie in der Praxis umgesetzt werden kann und welche Auswirkungen sie auf die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeiter hat?
Väth: Radikal Arbeiten orientiert sich an dem Leitgedanken „Mach das, was funktioniert – und lass alles andere weg“. Es geht darum, den Kern, die Wurzel (lat. „radix“) von Arbeit wieder freizulegen. Damit man sich wieder auf echte Aufgaben, auf persönliches Wachstum und auf organisationale Wertschöpfung konzentrieren kann.

In diesem Sinne könnte man beispielsweise das Meeting-Unwesen in Unternehmen analysieren und nach diesem Leitgedanken neue Regeln für das Ansetzen und Durchführen von Meetings aufstellen. Wichtig wäre hierbei, dass diese neuen Regeln öffentlich von der Unternehmensführung verkündet und vorgelebt werden. Viele Menschen leiden darunter, wie Meetings in Unternehmen gehandhabt werden – da gibt es enormes Entlastungspotenzial für Produktivität und Wohlbefinden.

Herr Väth, vielen Dank!
www.markusvaeth.com

Markus Väth, New-Work-Experte
Markus Väth, New-Work-Experte

Markus Väth versteht sich als Impulsgeber und Sparringspartner für zukunftsfähige Organisationen. Der Arbeits- und Organisationspsychologe gilt als einer der führenden Köpfe für New Work in Deutschland und ist Verfasser mehrerer Bücher zu New Work und Management sowie CAPITAL-Kolumnist. Er ist seit über 15 Jahren als Kompetenzpartner kleiner und mittelständischer Unternehmen in Fragen der Personal- und Organisationsentwicklung unterwegs und Begründer der „Radikal Arbeiten“-Bewegung. Kontakt