02.06.2020
Interview mit Christian Haeser, HBS/HWB
Weitere Hilfsmaßnahmen für unsere Branche wünschenswert
Anfang des Jahres übernahm Christian Haeser die Position als Geschäftsführer beim HBS/HWB. Die Paperworld nutzte er, die PBS-Branche kennenzulernen. Danach begann eine rasante Achterbahnfahrt der Gefühle. Wie er Corona-Krise und Lockdown erlebte, berichtet er im Interview.
Als mit dem Corona-Lockdown der Einzelhandel seine Tore schließen musste, waren die Handelsverbände mit die ersten, die ihre Stimme laut erhoben haben. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und was konnten Sie mit Ihrer Lobby-Arbeit für den Handel konkret erreichen?
Haeser: Die Zeit nach dem Lockdown war und ist nach wie vor für den HWB und mich eine äußerst intensive Zeit. Innerhalb kürzester Zeit und je nach tagesaktuellen Ereignissen mussten kurzfristig die richtigen Themenschwerpunkte gesetzt und Strategien entwickelt werden, um unseren Mitgliedern schnellstmöglich konkrete Vorgaben, Informationen und Hinweise an die Hand zu geben. Ermöglicht wurde das Ganze durch die fast täglichen, äußerst effektiven Videocalls mit den Landesverbänden und dem Handelsverband Deutschland (HDE) sowie meinem tatkräftigen Team im Büro, dass immer bei der Ausarbeitung der Schwerpunkte für unsere Mitglieder mitgewirkt hat.
Seit dem Lockdown haben wir mittlerweile sechs Infosheets mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten erstellt, die von der Beantragung des Kurzarbeitergeldes über Webinare und Exit-Strategien bis hin zu Themen wie Arbeitsschutz und Sofortmaßnahmen am PoS reichen. Ein großer zeitlicher Aufwand bestand darin, die für unsere Mitglieder relevanten Informationen aus der Informationsflut zu identifizieren und für unsere Sheets auszuarbeiten. Die Resonanz auf unsere Arbeit seitens der Mitglieder und der Medien war äußerst positiv und hat uns in unserem Tun bestärkt. Darüber hinaus haben wir für die pressierenden Belange unserer Mitglieder die Öffentlichkeit gesucht, Pressemitteilungen und offene Briefe – zum Teil im Zusammenschluss mit wirtschaftlich nahestehenden Verbänden – veröffentlicht so¬wie unsere Informationen über Social Media weitergetragen. Die Summe und die Inhalte sämtlicher Kommunikationsmaßnahmen trugen auch dazu bei, unseren Verband und die Verbandsarbeit visibler zu machen.
Wie lautet Ihr persönliches Fazit nach fünf Monaten intensiver Arbeit in Ihrer neuen Position für den HWB?
Haeser: Durch Corona wurde ich unmittelbar ins kalte Wasser geschubst, habe viel aus den Branchen kennengelernt und mitgenommen, um mich für die künftige Ausrichtung des HWB „freizuschwimmen“. Es ist essentiell, Gestaltungsräume zu nutzen und in die Branchen reinzuwachsen, um eine gute Vernetzung – ein belastbares Netzwerk – aufzubauen. Mir ist besonders wichtig, die guten Leistungen des Verbandes transparent darzustellen, auch mal neue Wege einzuschlagen.
Die Geschäfte haben überall wieder geöffnet. Die großen Einkaufsmeilen in den Städten sind aber nach wie vor noch leer. Wie sieht die Prognose bzw. der Status quo (Mitte Mai) aus, nachdem es rund um Ostern einen dramatischen, noch nie da gewesenen Einbruch gab?
Haeser: Der Einbruch war schockierend. Viele Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet. Nun gilt es zu schauen, inwieweit das klassische Verhalten sich im Einzelhandel verändern wird, insbesondere bei den Konzepten und der Beratung. Es ist sicherlich von einer Veränderung der Arbeitsweise im Einzelhandel als auch von einer gebremsten Konsumstimmung auszugehen. Handel und Endverbraucher müssen sich aufeinander einspielen, off- und online weiter zusammenwachsen, miteinander verflochten werden und die Innenstädte behutsam „reanimiert“ werden.
Die Öffnungszeiten sind derzeit noch nicht überall auf dem Stand wie in Vor-Coronazeiten. Viele Geschäfte schließen bereits um 18 Uhr. Das verunsichert die Kunden zusätzlich. Auch wenn die Menschen im Home-Office arbeiten, so hat doch kaum jemand die Zeit zum Shoppen während der Kernarbeitszeit?
Haeser: Dass es nach einem solchen Lockdown und den darauffolgenden Lockerungen zu einer schwierigen Übergangsphase kommen wird, ist mehr als verständlich. Es fehlt an den notwendigen Frequenzen in den Geschäften. Die Menschen sind verunsichert, müssen Vertrauen in den Handel und dessen Infektionsschutzmaßnahmen fassen und sich an die neue Einkaufssituation gewöhnen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass in den nächsten Wochen eine Verbesserung eintreten wird. Für den Handel sind in dieser fragilen Übergangsphase nach wie vor schnelle, unbürokratische und höhere Soforthilfen und Ausgleichszahlungen wichtig, um die Zeit der Geschäftsschließungen und der damit einhergehenden drastischen Umsatzeinbußen verkraften zu können. Es gibt immer noch Händler, die auf die Bewilligung der Finanzierung warten oder aber ohne ersichtlichen Grund Absagen erhalten haben. Das ist natürlich existenzgefährdend.
Was die Hygienemaßnahmen angeht, gibt es ebenso große Unterschiede, sowohl in den einzelnen Bundesländern, als auch in den verschiedenen Branchen. So stehen Kunden vor einem DM-Drogeriemarkt oder einem Schreibwarengeschäft mit Abstand brav in der Schlange, während in einem Aldi Süd- Laden niemand den Einlass kontrolliert – von Desinfektionsmitteln oder anderen Maßnahmen ganz zu schweigen. Es entsteht der Eindruck, dass es auch hier wieder beim Handel eine Zweiklassengesellschaft gibt.
Haeser: Der direkte Kontakt zu den Landesregierungen erfolgt über die föderale Struktur der Landesverbände im HDE, die konkret an den Erlassen und Verordnungen in den Bundesländern Einfluss nehmen können. So entstehen leider keine bundeseinheitlichen Vorgaben für den Handel. Gleiche Regeln bundesländerübergreifend währen natürlich hilfreich gewesen. Andererseits ermöglicht die föderale Struktur, je nach Höhe der Fallzahlen in den einzelnen Bundesländern, ein genaueres Steuern und Anwenden der Maßnahmen zum Infektionsschutz.
Die Händler haben beispielsweise Laufwege separiert und somit Ein- und Ausgänge getrennt. Es finden vermehrt Mitarbeiterschulungen zum richtigen Verhalten statt. Kunden werden über Durchsagen, zusätzliche Security oder Hinweisschilder informiert. Eigene Hygienekonzepte werden geschaffen. Händler versuchen, mit verstärkten Oberflächenreinigung von Einkaufswagen oder stark beanspruchten Gegenständen Infizierungen zu vermeiden.
Generell sollen Händler selbst entscheiden, welche Hygienemaßnahmen sie für richtig und wichtig erachten, da diese ihre Verkaufsfläche und notwendige Maßnahmen besser einschätzen können als die Politik. Wir haben unseren Händlern entsprechende Verhaltensregeln und Hygieneschutzmaßnahmen an die Hand gegeben.
Dann wird wochenlang über eine Corona-Warn-App diskutiert und schließlich entschieden, die Daten nicht zentral zu speichern. Gleichzeitig aber wird die Gastronomie nun aufgefordert, die Daten der Gäste (auf Papier) zu dokumentieren. Und nach vier Wochen einfach zu entsorgen. Der Datenschutz wird damit doch komplett ausgehebelt. Welche digitalen Projekte hat beispielsweise der HBS in Zusammenarbeit mit dem Handel auf der Agenda, die durch die Corona-Krise nun schneller vorangetrieben werden?
Haeser: Auf die Einführung einer Corona-App nebst Datenschutz Einfluss zu nehmen ist für uns nicht prioritär. Neben der Diskussion der Finanzierungsinstrumente durch den Bund und die Länder liegt derzeit keine Strategie vor, wie alte Technologien durch neue zu ersetzt werden können. Hier könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Des Weiteren möchten wir die Anliegen des Mittelstandes und die Forderungen der PBS-Branche ausreichend zu Gehör bringen. Es wird eine veränderte Arbeitswelt während und nach der Corona-Krise geben: Das Home-Office gewinnt einen höheren Stellenwert. Dadurch reduzieren sich die Pendlerwege, was sich natürlich in der Nachhaltigkeitsbilanz widerspiegelt. Der Arbeitnehmer gewinnt dadurch mehr Freizeit und das wirkt sich wiederum positiv auf die Work-Life- Balance und die die Gesundheit aus… Die Politik sollte sich über diese Veränderungen Gedanken machen und auf weitere Finanzprogramme vorbereitet sein.
Wie geht es nun nach dem Restart im Handel weiter. Die Umsätze liegen am Boden (im April 2020 wurden von der Steffens Handelsberatung folgende Umsatzentwicklungen ermittelt: PBS-Ladengeschäften minus 42 Prozent, gewerbliche Bürobedarf minus 22 Prozent und Büromärkte minus 47 Prozent). Reichen die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung und der Länder, damit der stationäre und mittelständische Handel überleben kann?
Haeser: Wie nach dem Umsatzeinbruch der Ausblick sein wird und was nach der Exit-Strategie kommt, gleicht zum jetzigen Zeitpunkt einem Blick in die Glaskugel. Es ist allerdings ein Trugschluss zu denken, dass die Auswirkungen der Pandemie bereits überstanden wären. Das wird lange nicht der Fall sein. Es ist nicht wahrscheinlich, den bisherigen Verlust durch kurzfristigen Umsatz ohne Hilfsmaßnahmen wieder wett zu machen. Zudem wird der Ausstieg aus der Kurzarbeit die Unternehmen beschäftigen. Service-Qualität und -Bereitschaft beim Kunden sind Schlüsselelemente, die es zu nutzen gilt. Steuererleichterung und zusätzliche steuerfreie sowie sozialversicherungsfreie Sonderzahlungen wären für unsere Branche wünschenswert, um die Krise besser zu bewältigen.
Die Büromöbelindustrie kann zwar kurzfristig vom Homeoffice-Boom profitieren, aber langfristig wird auch dieser Zweig unter der Investitionszurückhaltung leiden. Wann sehen Sie wieder Licht am Ende des Tunnels?
Haeser: Die Anforderungen der Branche an die Zukunft werden unter den verschiedensten Aspekten wie die Beziehung zu Lieferanten, Liquiditätsversorgung, Sortimentsanpassungen und Kommunikation zu beleuchten sein. Die aktuelle Diskussion zeigt zudem, wie Home-Office-Plätze legalisiert und kultiviert werden können. Home-Office sowie die Entflechtung der Belegschaften in den Innenstädten wird Beratungsbedarf nach sich ziehen.
Wie wirkt sich die aktuelle Krisensituation auf die Mitarbeiterqualifizierung der Branche aus und dabei insbesondere auf dem vom Verband angebotenen Lehrgang zum zertifizierten Fachberater?
Haeser: Gerade während des Shutdowns wurde deutlich, wie wichtig den Menschen das Shoppingerlebnis wert ist – weil es Ihnen plötzlich fehlte. Dazu gehört einmal mehr eine freundliche und souveräne Beratung sowie eine umfassende Service- und Sortimentskompetenz. Dies sind alles Lehrinhalte des Fachberaterkurses und ein klarer Vorteil gegenüber den Pure-Onlineplayern. Das schätzen die Kunden. Darüber hinaus hat sich gezeigt, wie wichtig reine Onlinekurse und Webinare für Firmen sind, um sich schnell und flexibel veränderten Situationen anzupassen ohne auf Weiterbildung zu verzichten. Daher erarbeiten wir gerade einen reinen Onlinekurs für Unternehmen, analog zum bestehenden Fachberaterlehrgang. Anstelle der Präsenztage wird es Webinare geben und die Firmen können ihre Lerninhalte bedarfsgerecht zusammenstellen.
Trotz aller Unwägbarkeiten durch den Lockdown, ausgelöst durch COVID-19, hat der HWB doch wieder enorm an Bedeutung und Stärke gewonnen. Wie lautet Ihre Botschaft an den Handel und die Industrie, was die künftige Zusammenarbeit anbelangt?
Haeser: Das Wichtigste ist die gute Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel. Synergieeffekte helfen beiden und fördern das gegenseitige Verständnis füreinander. Für mich ist dies eine Herzensangelegenheit, gemeinsame Wege zu bestreiten. Der HWB sieht sich als Plattform und Mittler zwischen dem Einzelhandel und der Industrie. Wie fördern den regelmäßigen Austausch. Es ist wichtig die Wünsche und auch die Ängste beider Seiten zu kennen, um für alle Parteien ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Neue Mitglieder können nur durch unsere guten Leistungen gewonnen werden. Daher setzen wir uns für ein bundesweites Konsumprogramm sowie verkaufsoffene, nicht anlassbezogene Sonntage ein.
Vielen Dank, Herr Haeser.